Hat Gazprom am Gaspreis gedreht?


Konnte oder wollte die russische Gazprom nicht mehr Gas liefern? Diese Frage stand am Ende des letzten LBDinsight vom 08.10.2021, denn nach unserer Analyse war die gravierendste Veränderung das Absinken der russischen Lieferungen um fast 20 Mrd. cbm im Vergleich der ersten acht Monate 2019 vs. 2021.

Versucht Gazprom eine Inbetriebnahme von Nord Stream II zu seinen Konditionen zu erzwingen? Hier ist unsere Überzeugung dazu.

Das Projekt Nord Stream war von Anfang an weitgehend politisch motiviert. Dies galt bereits für die Anfang des letzten Jahrzehnts in Betrieb gegangene Nord Stream I, welche die Bedeutung der ukrainischen Exportroute verringern sollte. Mit der Inbetriebnahme von Nord Stream II wird sich die Position der Ukraine gegenüber Russland noch weiter verschlechtern. Mit OPAL und EUGAL verlaufen zwei der drei Anbindungsleitungen von Nord Stream I und II mit ca. 80% der Transportkapazität direkt nach Tschechien, wodurch eine weitgehende Umgehung der Ukraine als Transitland möglich wird.

Nord Stream II erfüllt die europäischen Unbundling-Vorschriften nicht. Durch eine Zurückhaltung der über die Ukraine realisierbaren höheren Liefermengen versucht Gazprom nun, eine Inbetriebnahme von Nord Stream II zu seinen Konditionen zu erzwingen. Der resultierende massive Preisanstieg und die Sorgen um die Versorgungssicherheit sollen die Politik zu entsprechenden Eingriffen in die bestehende europäische Regulierung verleiten. Dann gäbe es als »Belohnung« wieder mehr Gas – oder wie es der russische Botschafter bei der EU gegenüber der »Financial Times« ausdrückte: Er erwarte, dass Gazprom rasch auf die Anweisungen von Präsident Wladimir Putin zur Anpassung der Produktion reagieren werde.

Dass dieses Kalkül aufgehen kann, zeigt das Beispiel des neuen sachsen-anhaltinischen Wirtschaftsministers Schulze (CDU). Er forderte gegenüber der F.A.Z. »sowohl die europäische Ebene als auch unsere Bundesregierung auf, umgehend zu reagieren und die Pipeline freizugeben.«

Schulze ist getrieben von der Sorge um die akute wirtschaftliche Lage großer Erdgasverbraucher wie des größten deutschen Ammoniakproduzenten SKW im sachsen-anhaltinischen Piesteritz. In Großbritannien sind bereits reihenweise Vertriebsunternehmen aus dem Markt ausgeschieden und industrielle Verbraucher müssen ihre Produktion einstellen.

Auch in Deutschland drohen gigantische wirtschaftliche Schäden. Schäden drohen z.B. Industrieunternehmen und Kraftwerken durch Deckungsbeitragsverluste, Stromverbrauchern durch überhöhte Strompreise usw. Jeder Geschädigte kann Schadensersatzansprüche geltend machen.

Was ist jetzt die richtige Antwort im Portfolio- und Risikomanagement? Dieser Frage kann man sich über mögliche Szenarien für die Gasversorgung der nächsten Monate nähern. In den in den nächsten Tagen wollen wir vier Szenarien vorstellen.

Ansprechpartner: Ralf Nellen