Die Gaspreisexplosion – Szenarien für den kommenden Winter (Teil 1)


Wir sind der Überzeugung, dass Gazprom eine Inbetriebnahme von Nord Stream II zu seinen Bedingungen erzwingen will. Das haben wir in unseren letzten LBDinsights vom 8.10. und 13.10.2021 zusammengefasst. Europaweit sind bereits enorme wirtschaftliche Schäden durch die Preisexplosion entstanden. Die weitere Entwicklung hängt davon ab, wie die Gasversorgung der nächsten Monate aussieht. Wir beleuchten insgesamt vier denkbare Szenarien der Gasversorgung und beginnen zunächst mit der Lieferung von Mehrmengen durch eine rasche Inbetriebnahme von Nord Stream II:

Szenario 1: Zusätzliche Mengen durch Nord Stream II führen zu einer schnellen Senkung der Gaspreise

Es gibt kurzfristig eine Genehmigung, die Nord Stream II ohne Unbundling in Betrieb zu nehmen. Nord Stream II liefert daraufhin sehr schnell hohe Mengen in den europäischen Markt. Das zusätzliche Angebot sorgt für ein baldiges Sinken der Gaspreise an den Märkten.

Gaspreis Frontmonat NCG/THE: Historischer Verlauf seit 01.01.2021 und illustrative Darstellung Szenario 1 bis 31.03.2022

Was spricht für das Eintreten dieses Szenarios?

Die massive wirtschaftliche Not vieler Unternehmen, aber auch vieler privater Verbraucher im Falle eines anhaltend hohen Gaspreises, sorgt für riesigen politischen Druck in den Mitgliedsländern. Wozu Energiepreissteigerungen führen können, haben die Proteste der Gelbwesten vor wenigen Jahren in Frankreich gezeigt. Die nationalen Regierungen geben diesen Druck an Brüssel weiter. Hinzu kommen die politisch gewollten Preissteigerungen bei fossilen Brennstoffen durch den CO2-Preis, die nun massiv infrage gestellt werden, weil jegliche Akzeptanz hierfür fehlt. Zu allem Überfluss sorgen hohe Gaspreise auch noch für ein Revival von Kohlekraftwerken. Am Ende gibt die EU-Kommission nach, um ihre Klimaschutzziele nicht zu gefährden und geht auf das Ansinnen von Gazprom ein.

Was spricht gegen das Szenario?

Die europäischen Grundsätze der Regulierung der Energiemärkte sind ein so hohes Gut, dass die EU-Kommission nicht daran denkt, diese in einer kurzfristigen Krise zur Disposition zu stellen. Sie geht davon aus, dass sich die Gasmärkte in wenigen Monaten wieder beruhigt haben werden. Unterstützung in ihrer Haltung findet sie zudem bei jenen nationalen Regierungen, die Nord Stream II kritisch sehen bzw. sogar ablehnen.

Was sind mögliche Konsequenzen, falls Nord Stream II in Betrieb genommen wird?

Die Gasvertriebe können aufatmen. Sie kommen gegenüber ihren Kunden mit vergleichsweise moderaten Preiserhöhungen davon und müssen keinen massiven Churn befürchten. Die großen industriellen Gasverbraucher verlieren zwar temporär an Profitabilität und haben vereinzelt Produktionseinbußen, aber längerfristige Außerbetriebnahmen bleiben ihnen erspart. Die Betreiber von Gaskraftwerken kommen wieder in den Markt. Sie sind es aus den letzten Jahren ohnehin gewohnt, sich über jede Einsatzstunde ihrer Anlagen zu freuen. Der Großhandelspreis für Strom sinkt wieder. Für die Stromvertriebe gilt ähnliches wie für die Gasvertriebe. Sie müssen Preiserhöhungen vornehmen, können diese aber noch im Rahmen halten. Gazprom sieht sich in seiner Handlungsweise bestätigt und weiß, dass bei zukünftigen Disputen mit der EU-Kommission an dieser Stelle ein wunder Punkt getroffen werden kann.

Halten Sie dieses Szenario für wahrscheinlich? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil.

Ansprechpartner: Ralf Nellen