Die Gaspreisexplosion – Szenarien für den kommenden Winter (Teil 2)


Wir sind der Überzeugung, dass Gazprom eine Inbetriebnahme von Nord Stream II zu seinen Bedingungen erzwingen will. Das haben wir in unseren letzten LBDinsights vom 8.10. und 13.10.2021 zusammengefasst. Wir beleuchten insgesamt vier denkbare Szenarien der Gasversorgung. In Szenario 1 haben wir am 14.10.2021 die Auswirkungen einer kurzfristigen Genehmigung von Nord Stream II betrachtet und nach der Einschätzung der Leser gefragt.

Das ist Ihre Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit von Szenario 1:

  • sehr wahrscheinlich: 10%
  • eher wahrscheinlich: 57%
  • eher unwahrscheinlich: 33%
  • sehr unwahrscheinlich: 0%

Heute beleuchten wir ein weiteres Szenario.

Szenario 2: Die EU erzwingt zusätzliche Mengen über die Ukraine

Nach einem längeren Prozess von Gesprächen bewegt die EU Russland bzw. Gazprom, zusätzliche Mengen über die traditionelle ukrainische Exportroute zu liefern. Die Preise fallen langsam, sobald sich abzeichnet, dass Gazprom bereit ist, sich an dieser Stelle zu bewegen.

Gaspreis Frontjahr NCG/THE: Historischer Verlauf seit 01.01.2021 und illustrative Darstellung Szenario 2 bis 31.03.2022

Was spricht für dieses Szenario?

Die russische Seite hat kein Interesse an einer weiteren Eskalation. Russland kann sich als der verlässliche Lieferant präsentieren, der rechtzeitig einspringt und die Defizite der außereuropäischen Quellen für LNG kompensiert. Millionen Menschen in der EU, deren Arbeitsplatz oder warme Wohnung gefährdet war, würden Russland dafür dankbar sein.

Was spricht gegen dieses Szenario?

Gazprom hat Nord Stream II nicht errichtet, damit diese Pipeline stillsteht und stattdessen weiter relevanter Gastransit über die Ukraine stattfindet. Russland will die Transitgebühren an die Ukraine möglichst niedrig halten. Aus diesem Grund sieht Gazprom auch keine Veranlassung, der EU in diesem Punkt entgegen zu kommen.

Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, falls über die Ukraine mehr Gas geliefert wird?

Aufgrund des längeren Prozesses bis zu einem signifikanten Absinken der Preise kommen die meisten Gasvertriebe nicht um massive Preiserhöhungen herum, da sie sich teilweise noch zu hohen Preisen eindecken mussten. Die Wechselraten erreichen deshalb neue Rekorde. Unter den Gasvertrieben gibt es – abhängig von ihrer Beschaffungsstrategie – Gewinner und Verlierer.

Ein Teil der großen industriellen Gasverbraucher kommt um Produktionsstilllegungen nicht herum, was wiederum zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden führen wird. Andere zahlen zähneknirschend die höheren Gaspreise und nehmen in Kauf, dass ihre Profitabilität massiv leidet.

Die Betreiber von Gaskraftwerken kommen langsam wieder zu höheren Einsatzstunden. Der Großhandelspreis für Strom geht peu à peu zurück.

Für die Stromvertriebe gilt ähnliches wie für die Gasvertriebe. Sie müssen zum großen Teil deutliche Preiserhöhungen vornehmen. Auch hier gibt es höhere Wechselraten als üblich und es kommt zu Marktverschiebungen unter den Vertrieben.

Die EU-Kommission und Russland lassen sich für ihren Kompromiss feiern.

Halten Sie dieses Szenario für wahrscheinlich? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil.

Ansprechpartner: Ralf Nellen