Die Gaspreisexplosion – Szenarien für den kommenden Winter (Teil 3)


Europaweit sind bereits enorme wirtschaftliche Schäden durch die Preisexplosion entstanden. Die weitere Entwicklung hängt davon ab, wie die Gasversorgung der nächsten Monate aussieht. Wir beleuchten insgesamt vier denkbare Szenarien der Gasversorgung. In Szenario 1 haben wir am 14.10. die Auswirkungen einer kurzfristigen Genehmigung von Nord Stream II betrachtet. In Szenario 2 haben wir am 15.10.2021 eine Lieferung von Mehrmengen über die Ukraine betrachtet und nach der Einschätzung der Leser gefragt. Die Mehrheit (53%) schätzt dieses Szenario als eher unwahrscheinlich ein, 23% als sehr unwahrscheinlich und wiederum 23% halten das Szenario für eher wahrscheinlich.

Heute beleuchten wir ein weiteres Szenario.

Szenario 3: Die hohen europäischen Gaspreise ziehen zusätzliche LNG-Mengen an

Das hohe europäische Gaspreisniveau macht den Markt attraktiv für mehr LNG-Lieferungen. Zusätzliche Exportkapazitäten werden mobilisiert. Zudem werden nun teilweise Lieferungen nach Europa umgeleitet, die bisher für andere Märkte vorgesehen waren. Das Gaspreisniveau in den Märkten mit LNG-Terminals geht langsam zurück. Durch die Interaktion zwischen den europäischen Märkten kommt auch Deutschland, das keinen direkten Zugang zu LNG hat, in den Genuss dieser Entwicklung.

Gaspreis Frontjahr NCG/THE: Historischer Verlauf seit 01.01.2021 und illustrative Darstellung Szenario 3 bis 31.03.2022

Was spricht für das Eintreten dieses Szenarios?

Der Rückgang der LNG-Lieferungen in den Swing Consumer-Markt Europa war im Wesentlichen dadurch verursacht, dass in anderen Märkten eine höhere Zahlungsbereitschaft vorlag. Ein Grund für diese höhere Zahlungsbereitschaft waren die im Vergleich zu Europa deutlich niedrigeren Speicherkapazitäten. Mit dem Preisanstieg in Europa steigt nun dessen Attraktivität im globalen Nachfragewettbewerb.

Was spricht gegen dieses Szenario?

Die verschiedenen globalen Märkte sind über LNG miteinander verlinkt. Entsprechend befinden sie sich in einem Nachfragewettbewerb zueinander. Hohe Gaspreise in Europa ziehen deshalb auch Preiserhöhungen in anderen Märkten nach sich – zumal die Nachfrageelastizität dort durch die viel geringeren Speicherkapazitäten deutlich niedriger ist.

Was sind mögliche Konsequenzen, falls die LNG-Liefermengen erhöht werden?

Auch bei diesem Szenario kommen die meisten Gasvertriebe nicht um massive Preiserhöhungen herum, da sie sich teilweise noch zu hohen Preisen eindecken mussten. Die Wechselraten erreichen deshalb auch hier neue Rekorde. Unter den Gasvertrieben gibt es – abhängig von ihrer Beschaffungsstrategie – Gewinner und Verlierer.

Ein Teil der großen industriellen Gasverbraucher kommt um Produktionsstilllegungen nicht herum, die zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden führen. Andere zahlen zähneknirschend die höheren Gaspreise und nehmen in Kauf, dass ihre Profitabilität massiv leidet.

Die Betreiber von Gaskraftwerken kommen langsam wieder zu höheren Einsatzstunden. Der Großhandelspreis für Strom geht peu à peu zurück.

Für die Stromvertriebe gilt ähnliches wie für die Gasvertriebe. Sie müssen zum großen Teil deutliche Preiserhöhungen vornehmen. Auch hier gibt es höhere Wechselraten als üblich und es kommt zu Marktverschiebungen unter den Vertrieben.

Halten Sie dieses Szenario für wahrscheinlich? Nehmen Sie an unserer dritten Umfrage teil.

Ansprechpartner: Ralf Nellen