Grünstrom – Das Ende des Greenwashings?
Es passiert was in Deutschland und Europa in Sachen Klimaschutz. Die letzten Wochen haben gezeigt: Die Judikative verteidigt – im Falle halbherziger Taten oder unzureichender Weitsicht von Regierungen – die Freiheiten kommender Generationen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entfacht Wirkung. Verschärfte Sektorenziele und Klimaneutralität bis 2045. Der CO2-Preis ist im letzten Jahr um knapp 250% – auf über 50 Euro/t – gestiegen. Selbst eine grüne Kanzlerin ist denkbar. Es ist klar: Der Klimaschutz nimmt Fahrt auf. Und Stadtwerke und Versorger sind ihr wichtigster Bestandteil.
26% der Privatpersonen und 35% der Geschäftskunden beziehen ein Grünstromprodukt (Monitoringbericht 2020 von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt). Das Ziel: Beschleunigter Klimaschutz durch Ausbau erneuerbarer Energien. Viele Unternehmen und Kommunen werden künftig – getrieben durch die aktuellen Klimaschutzdiskussionen und -urteile – vermehrt Grünstromprodukte nachfragen. Das Image des Klimaschädlings möchte man sich nicht anlasten lassen.
Deswegen hat sich in den letzten Jahren der sog. freiwillige Ökostrommarkt (fÖM) entwickelt. 80% aller Stromanbieter haben mindestens ein Grünstromprodukt im Angebot (UBA, 2017). 18% der Versorger haben ihre Portfolien gänzlich auf diese Produkte umgestellt (Hamburg Institut, 2019). Der fÖM basiert auf Stromprodukten, die über Herkunftsnachweise (HKN) funktionieren. HKN entkoppeln die physische Lieferung von Strom von der Grünstromeigenschaft und macht letzteres in unterschiedlichen Qualitäten – wie Technologie, Alter oder Standort der Anlage – handelbar. So sollen Erneuerbare an den Markt geführt werden. Er schafft Wahrnehmung und Akzeptanz und ermöglicht Partizipation am Klimaschutz – auch ohne Eigenheim. In Deutschland gibt es das Doppelvermarktungsverbot für Erneuerbare Energien. Nur Anlagen, die keine Förderung aus dem EEG erhalten, können HKN generieren. Das gilt nur für einen Bruchteil der deutschen EE-Anlagen.
Deshalb ist die Wirkung von Grünstromprodukten heute oftmals auf „weiche Faktoren“ beschränkt. Denn der Großteil der Grünstromprodukte hat keine oder nur eine geringe Wirkung auf den Ausbau neuer Anlagen und damit den Klimaschutz. Nur jeder vierte bis fünfte benötigte HKN konnte in den letzten Jahren aus deutschen Anlagen bedient werden (UBA, 2018). Der größte Teil stammt z. B. aus amortisierten Wasserkraftwerken in Norwegen. Höherwertige Angebote mit echter Klimaschutzwirkung sind im Dschungel der Grünstromzertifikate kaum erkennbar. Der Markt ist komplex: Unterscheidung zwischen „Greenwashing“ und funktionierenden Produkten nur mit Aufwand erkennbar.
Doch das kann sich nun ändern. Getrieben durch einen steigenden CO2-Preis liegt der Phelix Base Strompreis an der EEX für die Jahre 2022 bis 2024 mittlerweile bei über 65 Euro/MWh (EEX). Legt man die letzten Ausschreibungsergebnisse für Photovoltaik und Wind daneben, zeigt sich, dass neue Anlagen ohne Einspeisevergütung über die „sonstige Direktvermarktung“ – inkl. HKN – wirtschaftlich vermarktet werden können. Diese Entwicklung wird sich mit dem weiteren Anstieg des CO2-Preises und damit des Strompreises verstärken. Damit gewinnen Grünstromprodukte, mit HKN aus deutschen Anlagen, an Bedeutung.
Dies bietet die Chance für Energieversorger, sich in Sachen Klimaschutz zu positionieren. Die Dekarbonisierung der Gesellschaft und die passenden Angebote dafür müssen zur Selbstverständlichkeit werden. Für Energieversorger heißt das: Sie müssen eine glaubwürdige Klimaschutzstrategie entwickeln – und zwar heute. Ist ein besseres Grünstromprodukt ein erster Baustein in der Klimaschutzstrategie hin zu einer dekarbonisierten Gesellschaft?
Ansprechpartner: Bastian Wolff