Was treibt die aktuellen Strompreise? Nicht nur die Gaspreisexplosion.


Liebe Leser:innen,

die Erzeugungsmargen sind aktuell auf historisch beispiellosem Niveau. Neben der Gaspreisexplosion sind sie der Haupttreiber der aktuellen Strompreise. Im aktuellen Insight schauen wir uns die Entwicklung der Erzeugungsmargen typischer fossiler Kraftwerke genauer an.

Bereits seit 2005 ermitteln wir handelstäglich auf Basis der Frontjahresnotierungen für Strom, Brennstoffe und EUA die Erzeugungsmargen für moderne GuD- und Steinkohlekraftwerke.

Bei den Berechnungen gehen wir folgendermaßen vor:

  • Für jeden Handelstag ermitteln wir die Beschaffungskosten für Brennstoffe und Emissionszertifikate für einen Kraftwerksbetreiber sowie die Stromerlöse, die er aus dem Verkauf des erzeugten Stroms im jeweils folgenden Lieferjahr erwarten kann.
  • Dafür ermitteln wir die kurzfristigen Grenzkosten der jeweiligen Kraftwerke basierend auf deren Wirkungsgraden und unseren Projekterfahrungen für die variablen Betriebskosten.
  • Wir entwickeln für das folgende Kalenderjahr (Frontjahr) eine Erwartung zu den stündlichen Strompreisen, die aus den Terminmarktpreisen für die Base- und Peak-Jahreslieferung für Strom folgen.
  • So simulieren wir für jede Stunde des Frontjahres den Einsatz der Kraftwerke sowie ihre variablen Kosten und Erlöse. Sind die Grenzkosten der Kraftwerke niedriger als der erwartete Strompreis, lohnt sich die Stromerzeugung und der Betreiber realisiert einen Deckungsbeitrag. Startkosten der Anlagen werden berücksichtigt.
  • Daraus resultiert kumuliert über alle Stunden ein Deckungsbeitrag auf die Fixkosten (Kraftwerksbetrieb und Kapitalkosten).

Die Ergebnisse dieser Berechnungen für den Zeitraum seit Anfang 2005 sind in der Abbildung dargestellt. Jeder Punkt auf den Kurven stellt die Erzeugungsmarge für das jeweilige Frontjahr aus der Perspektive eines Handelstages dar. Zur Orientierung ist zudem eine Bandbreite der Fixkosten der Kraftwerke angegeben: in grün für ein GuD-Kraftwerk, in grau für ein Kohlekraftwerk.

Abbildung: Entwicklung der Erzeugungsmargen moderner GuD- bzw. Steinkohlekraftwerke seit 2005 (Quelle: EEX, Refinitiv, LBD-Analysen, Stand: 31.01.2022)

Was lässt sich erkennen?:

  • Seit 2005 war eine Deckung der Fixkosten für Steinkohlekraftwerke die absolute Ausnahme. GuD-Kraftwerke stießen in diesen Bereich nur im Zeitraum zwischen 2006 und 2010 vor. Ansonsten waren die Deckungsbeiträge stets zu gering, um auch nur in Reichweite der Vollkostendeckung zu kommen.
  • Seit dem Herbst 2021 ist nun zu beobachten, dass die Erzeugungsmargen sowohl des GuD- als auch des Kohlekraftwerks in historisch unerreichte Höhen steigen. Sie decken nicht nur die Fixkosten vollständig, sondern überschreiten sie sogar massiv.
  • Ein solches – wenn auch nicht annähernd so gravierendes – »Überschwingen« der Deckungsbeiträge haben wir bei massiven Preisveränderungen der Rohstoffe bereits in der Vergangenheit beobachtet: Stiegen die Preise für Brennstoffe und EUA stark an, erhöhten sich auch die Erzeugungsmargen. Fielen hingegen die Preise für Brennstoffe und EUA deutlich, sanken umgekehrt auch die Deckungsbeiträge. Das jetzt beobachtbare exzessive Niveau ist jedoch ein Hinweis auf echte Knappheitsprämien.
  • Dabei haben die Deckungsbeiträge des Kohlekraftwerks jene des GuD-Kraftwerks erstmals seit Anfang 2020 wieder »überholt« – ein Indiz dafür, dass die GuD-Kraftwerke sehr viel häufiger preissetzend sind. Kohlekraftwerke können so offenbar Windfall Profits realisieren.

Was heißt dies nun für den Strommarkt?:

  • Die Strompreise werden nicht nur durch die dramatische Steigerung der Grenzkosten der Erzeugung (insbesondere aus der Gaspreisexplosion), sondern auch durch massiv erhöhte Erzeugungsmargen getrieben.
  • Diese Situation wird sich erst wieder entspannen, wenn das Gaspreisniveau signifikant nachgibt. Die Terminmarktpreise am langen Ende spiegeln diese Erwartung bereits wider.
  • Preisniveaus wie in den Jahren 2018 bis 2020 werden wir wahrscheinlich nie mehr sehen, weil die Knappheit von disponiblen Erzeugungskapazitäten sich in den kommenden Jahren eher noch verschärfen wird sowie ein Teil des Anstiegs auch aus höheren EUA-Preisen resultiert – und diese ebenfalls knappe Ressource wird sich tendenziell weiter verteuern.
  • Für erneuerbare Erzeugung steigt damit die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch ohne Förderung wettbewerbsfähig ist.

Ansprechpartner: Ralf Nellen