Wie Stadtwerke den Photovoltaik-Ausbau im urbanen Raum voranbringen können


Die gestiegenen Energiepreise machen der Gesellschaft zu schaffen und sind deswegen Gegenstand des öffentlichen und politischen Diskurses. Ein Strompreisdeckel von 180 Euro/MWh zur Umverteilung und damit einhergehenden Entlastung der Bevölkerung ist auf europäischer Ebene geplant.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien hilft, sich mittelfristig unabhängiger und damit resilienter gegenüber geopolitischer Krisen, Lieferengpässen und Verteilungsfragen zu machen. Ein immenses Potenzial von insgesamt 1.045 GW besteht in der Photovoltaik (vgl. Abbildung 1). Mit derzeit 63 GW installierter Leistung in Deutschland (Quelle: Bundesnetzagentur) sind damit erst 6% des verfügbaren Flächenpotentials für Photovoltaik erschlossen.

Ein großes, noch unerschöpftes Potenzial besteht auf Gebäudedächern und -fassaden, vor allem im urbanen Raum. Während der Ausbau von Solaranlagen auf Einfamilienhäusern in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen hat, verläuft dieser bei Mehrpartei-/Mietshäusern eher schleppend und so auch die Möglichkeit, Mieter:innen Zugriff auf günstigeren, grünen Strom zu gewähren.

Abbildung 1: Langfristiges, wirtschaftliches Potential der Photovoltaik in Deutschland (Quelle: Stiftung Klima, 2021), Darstellung und Berechnung LBD

Zwar sind die Kosten für die Errichtung von Photovoltaik-Anlagen in den vergangenen Monaten gestiegen, zeitgleich hat sich allerdings aufgrund der gestiegenen Stromkosten auch die Rendite in der Vermarktung dieser Anlagen erhöht. Zusätzlich schafft das Osterpaket – u. a. durch die Anhebung der Vergütungssätze und der Kombination von Voll- und Teileinspeisung – Anreize für den Ausbau von PV-Aufdachanlagen. Neue Anreize für die Versorgung von Mieter:innen fallen dagegen relativ klein aus – nennenswert ist hier der Wegfall der EEG-Umlage und die Aufhebung der 100 kWp Schwelle für eine Förderbarkeit mit dem Mieterstromzuschlag.

Führt diese Gemengelage aus Förderung, Chance auf Energieautonomie und Klimaschutz zum Boom der dezentralen Erzeugungsanlagen auf Mehrparteien/Mietshäusern im urbanen Raum?

Es ist kompliziert! Insbesondere wegen der Gemengelage aus Immobilieneigentümern (oftmals Immobilienunternehmen), den Mieter:innen und einer Partei, welche die energiewirtschaftliche Lieferung an die Letztverbraucher übernimmt. Die Stadtwerke haben die Chance, einen Beitrag zu leisten, indem sie die Parteien zusammenbringen und durch Bündelung von Leistungen attraktiven Angebote für Bürger:innen im urbanen Raum schaffen – mit ihren Kontakten zur Bevölkerung und den lokalen Immobiliengesellschaften und als in der Gesellschaft wahrgenommener vertrauensvoller Partner vor Ort. Sie sollten den aktuellen Markt aber auch als Chance begreifen.

Im eigenen Vertriebsgebiet: Mieterstromanbieter

Die gestiegenen Strompreise führen dazu, dass Investitionen in PV-Aufdachanlagen derzeit höchst rentabel sind. In Abbildung 1 ist das jährliche Betriebsergebnis einer 100-kWp-Anlage in Abhängigkeit des Großhandelsstrompreis zu sehen. Es zeigt sich, dass das Marktprämienmodell und Mieterstrom mit dem Großhandelspreis für Strom korrelieren und deutlich lukrativer als die reine Einspeisevergütung sind.

Abbildung 2 Jährliches Betriebsergebnis einer 100-kWp-PV-Aufdachanlagen in Abhängigkeit der Großhandelsstrompreises für ein Netzgebiet (Beteiligungsquote: 70%, Mieterstrompreis von 90% des Grundversorgungsprodukts), Darstellung und Berechnung LBD

Das Stadtwerk punktet hier insbesondere mit seiner Kompetenz der Belieferung von Letztverbrauchern als geeigneter Partner für die Wohnungswirtschaft. In Abbildung 2 ist der wirtschaftliche Mehrwert des Mieterstroms gegenüber einer alternativen Volleinspeisung im Marktprämienmodell für ein exemplarisches Netzgebiet dargestellt. Die Situation zeigt, dass Mieterstrom bei einem Mieterstrompreis von 90% des Grundversorgungsprodukts ab einem Preis von 70 Euro/MWh lukrativer als die Volleinspeisung wird. Dieser Effekt nimmt bis zu einem Schwellenwert von ca. 120 Euro/MWh zu und dann wieder ab. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die 10% Nachlass auf das Grundversorgungsprodukt den regulatorischen Effekt aus Förderung in Form des Mieterstromzuschlags und eingesparten Steuern und Abgaben übersteigt.

Es zeigt auch, dass die derzeitige Marktsituation großen Spielraum bietet, den Letztverbraucher finanziell partizipieren zu lassen.

Abbildung 3: Vergleich des wirtschaftlichen Mehrwerts einer 100-kWp-PV-Aufdachanlage in der Vermarktung als Mieterstrom gegenüber der Volleinspeisung (Direktvermarktung) in Abhängigkeit des Großhandelsstrompreises für ein Netzgebiet (Beteiligungsquote: 70%), Darstellung und Berechnung LBD

Im eigenen Vertriebsgebiet: Verkauf ins eigene Portfolio

Neben dem Mieterstrom besteht auch die Möglichkeit, Strommengen in das eigene Vertriebsportfolio aufzunehmen. In Zeiten hoher, unkalkulierbarer Beschaffungspreise und -risiken aufgrund knapper Verfügbarkeiten bzw. hoher Gaspreise gelingt so die Sicherung von Strommengen. Grundsätzlich sind Freiflächenanlagen mit ihren niedrigeren Gestehungskosten von 3 bis 5,5 Cent / kWh gegenüber um die 4,5 bis 9,5 Cent / kWh wirtschaftlich gesehen attraktiver. Aber diese sind im Wettbewerb mit der Landwirtschaft und Ökologie – trotz der Möglichkeit hinsichtlich Agri-PV – mit bürokratischen Hürden verbunden. Außerdem besteht im urbanen Raum ein Werttreiber in der vermiedenen Stromsteuer von 2,05 Cent / kWh. Diese lässt sich in Contractingmodellen realisieren, in denen das Stadtwerk den Anlagenbetrieb übernimmt, die Strommengen in das Portfolio aufnimmt und an Letztverbraucher im regionalen Zusammenhang von 4,5 km vermarktet.

Diese können durch Kopplung mit unterschiedlichen Sektoren Ausgangspunkte neuer Geschäftsmodelle und Tarife sein. Speichernde Elemente (Elektroautos, Wärmepumpen, Speicher) erhöhen die Rentabilität im Betrieb von Photovoltaikanlagen und schaffen so zusätzliche Anreize. In Abbildung 4 ist der Effekt der Beteiligungsquote der Mieter:innen am Mieterstrom dargestellt, der wirkungsähnlich wie eine Erhöhung der Eigenverbrauchsquote ist (vgl. Abbildung 4).

Abbildung 4: Jährliches Betriebsergebnis einer 100-kWp-PV-Aufdachanlagen in Abhängigkeit der Beteiligungsquote für ein Netzgebiet bei einem Mieterstrompreis von 85% des Grundversorgungsprodukts, Darstellung und Berechnung LBD

In fremden Netzgebieten

In fremden Netzgebieten bietet sich die Chance, über Aufdachanlagen einen Fuß in die Tür neuer Kunden zu bekommen. Netzentgelte variieren in Deutschland zwischen 3,5 Cent / kWh und 20,7 Cent / kWh. Gerade in Gebieten hoher Entgelte ist Mieterstrom für Versorger und Mieter:innen eine Win-win-Situation. Als Stadtwerk bietet sich außerdem die Chance, sich hier als wMSB zu profilieren und Erträge außerhalb der Preisobergrenze zu realisieren.

Bastian Wolff

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