Die Gaspreisexplosion – Szenarien für den kommenden Winter (Teil 4)


Es kommt zu Versorgungsengpässen! Im Rahmen unserer Serie zur weiteren Entwicklung der Gasversorgung stellen wir heute das vierte und letzte Szenario vor, bevor wir in den nächsten Tagen alle Szenarien zusammenfassen werden.

In Szenario 3 hatten wir die Lieferung von zusätzlichen LNG-Mengen aufgrund hoher europäischer Gaspreise betrachtet. 40 % der Leser:innen sieht dieses Szenario als eher wahrscheinlich, 10 % als sehr wahrscheinlich und ähnlich dazu 40 % als unwahrscheinlich. 10 % halten dieses Szenario für sehr unwahrscheinlich. Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit des vierten Szenarios ein? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil.

Szenario 4: Es kommt zu Versorgungsengpässen

Die Beziehungen zwischen der EU und Russland verhärten sich. Aus Russland kommen keine zusätzlichen Mengen, die den Markt entlasten könnten. Auch aus dem LNG-Markt gibt es keinen relevanten zusätzlichen Beitrag zur Versorgung Europas. In der Folge kommt es zu Knappheitspreisen und zu einer Versorgungskrise. Um die Raumwärmeversorgung nicht zu gefährden, sind politische Eingriffe in die Gasversorgung erforderlich. Im Rahmen der Rationierung werden flächendeckende Abschaltungen bei Gaskraftwerken ohne Wärmeauskopplung und Industriekunden vorgenommen.

Gaspreis Frontjahr NCG/THE: Historischer Verlauf seit 01.01.2021 und illustrative Darstellung Szenario 4 bis 31.03.2022

Was spricht für das Eintreten dieses Szenarios?

Die Kontroverse um die regulatorische Behandlung der Nord Stream II stellt für beide Seiten eine Grundsatzfrage dar. Die EU kann nicht hinnehmen, dass diese Pipeline an dem regulatorischen Rahmen für den europäischen Gasmarkt vorbei betrieben wird. Für Gazprom wiederum ist der strategische Wert dieser Pipeline nicht von dem integrierten Zugriff auf Lieferung und Transport zu trennen. Zudem hat Gazprom erkennen lassen, dass sie sich mit der von ihr als aufgezwungen empfundenen Bindung der Gaspreise an die Großhandelsmärkte auch weiter schwertut. Nun ergibt sich die Gelegenheit, auf die für die europäischen Verbraucher schmerzhaften Preiserhöhungen hinzuweisen, die aus Sicht von Gazprom die Folge der Abkehr von der traditionellen Preisbildung sind. Auf den LNG-Märkten bleibt das Angebot knapp, sodass für Europa auch weiterhin physische Engpässe bestehen.

Was spricht gegen das Eintreten dieses Szenarios?

Die Voraussetzung für dieses Szenario ist, dass mehrere politische Akteure völlig unbeeindruckt von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der aktuellen Gaskrise bleiben. Zusätzlich müsste das physische Angebot an LNG so gering bleiben, dass selbst Knappheitspreise in Europa nicht zu zusätzlichen Gasmengen führen.

Was sind mögliche Konsequenzen im Falle von Versorgungsengpässen?

Die Gasvertriebe müssen ihre Preise in bisher nie gekannter Weise erhöhen – falls sie überhaupt noch in der Lage sind, alle ihre Kund:innen physisch zu beliefern. Viele Kund:innen werden ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Es wird Unternehmen geben, welche die massiven Verwerfungen aus Zahlungsausfällen und Kundenverlusten nicht überstehen. Einige wenige besonders robuste Marktteilnehmer werden dadurch Marktanteile gewinnen.

Industriekunden, die auf Gas angewiesen sind, müssen ihre Produktion herunterfahren oder komplett einstellen. Es kommt in der Folge zu Engpässen bei zahllosen Produkten. Lieferketten reißen. Die Folge sind ein weiteres Ansteigen der Inflation und Konjunktureinbrüche.

Gaskraftwerke werden nur noch im Rahmen ihrer Wärmeversorgungspflichten mit Gas beliefert. Die Lücke muss durch Kohlekraftwerke geschlossen werden. Die erhöhte Nachfrage nach Kohle und EUA treibt auch hier die Preise. Die Strompreise spiegeln die hohen variablen Kosten der Kohlekraftwerke wider und erreichen Rekordhöhen.

Die Stromvertriebe kommen nicht um massive Preiserhöhungen herum. Auch hier gibt es neue Rekorde bei Zahlungsausfällen und Wechselraten. Dies führt auch bei den Stromvertrieben zu einer Marktbereinigung.

Die ökonomischen und sozialen Verwerfungen sind so massiv, dass wir darauf verzichten wollen, sie detaillierter zu beschreiben.

Ansprechpartner: Ralf Nellen