Die aktuelle Gaspreisexplosion – funktionieren unsere Handelsmärkte nicht (mehr)?


Liebe Leser:innen,

im Oktober letzten Jahres sind wir der Frage nachgegangen, wie es zu dem beispiellosen Anstieg der Gaspreise an den europäischen Großhandelsmärkten kommen konnte.

Dabei haben wir uns unter anderem auf eine Analyse des Oxford Institute for Energy Studies gestützt, in der die globalen Gasströme in den ersten acht Monaten der Jahre 2019 und 2021 verglichen wurden (um die unmittelbaren Auswirkungen von COVID-19 zu neutralisieren, wurde 2020 ausgeklammert). In einem Update dieser Analyse wurden nun die Gasströme der ersten elf Monate (2019 vs. 2021) verglichen und es ergab sich ein noch deutlicheres Bild als zuvor.

Extremer Rückgang der russischen Liefermengen führt zu den beobachteten Preisspitzen

Wie die untenstehende Grafik zeigt, war die gravierendste Veränderung das Absinken russischer Lieferungen um 36 Mrd. cbm. Während Nord Stream 1 de facto mit voller Kapazität betrieben wurde, hat Russland seine Liefermengen über Weißrussland und die Ukraine extrem zurückgefahren. Der von einer Tochter der Gazprom betriebene größte deutsche Gasspeicher in Rehden ist im letzten Jahr praktisch nicht befüllt worden und mit einem historisch niedrigen Füllstand von unter 10% in die Wintersaison gestartet. Üblich waren in den letzten Jahren Füllstände von über 90% vor Beginn des Winters.

Ein Blick auf die übrigen Gasströme belegt, dass zusätzliche Speicherentnahmen ohne das russische Defizit für eine ausgeglichene europäische Gasbilanz nicht nötig gewesen wären. Es ist daher unwahrscheinlich, dass es ohne die russischen Mindermengen zu den beobachteten Preisspitzen an den Handelsmärkten gekommen wäre.

Abbildung: Veränderungen in der Gasversorgung der EU (inkl. UK) im Vergleich Januar bis November 2021 zu Januar bis November 2019 in Mrd. cbm (Quelle: Oxford Institute for Energy Studies – Daten, LBD – Erstellung Karte) ©LBD

Dass russisches Verhalten die Großhandelspreise stark beeinflusst hat, lässt sich auch daran erkennen, dass russische Ankündigungen oder Handlungen immer mit großen Preissprüngen vom Markt beantwortet wurden. So führte Putins Ankündigung zusätzlicher Lieferungen (der allerdings später keine Taten folgten) am 27.10.2021 sofort zu einem deutlichen Preisrückgang.

Russische Marktmacht dominiert die Marktpreise

Unabhängig von möglichen politischen Motiven gibt es für Gazprom auch ein ökonomisches Rational für eine geringe Bereitschaft zu Lieferungen über ihre vertraglichen Verpflichtungen hinaus. Schließlich ist der Löwenanteil der Lieferungen von Gazprom heute an die Marktpreise gekoppelt. Dass Gazprom heute in so einer marktmächtigen Position ist, liegt daran, dass die Marktanteile im Import von Gas nach Deutschland sich massiv verändert haben. 2015 waren die Niederlande und Norwegen noch auf Augenhöhe mit Russland. Mittlerweile stammt jedoch mehr als die Hälfte des nach Deutschland importierten Gases aus Russland. Es fragt sich daher, wie liquide und transparent der Gasmarkt noch ist.

Fazit. Was bedeutet dies für uns?

  1. Unternehmen, die durch die hohen Gaspreise betroffen sind, sollten Schadensersatzansprüche prüfen.
  2. Um die hohe Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter kurz- bis mittelfristig zu senken, gibt es bereits erste Anstrengungen das Gasportfolio zu diversifizieren. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck setzt dabei richtigerweise auf einen verbesserten Zugang zu LNG-Mengen.
  3. Langfristig wird die Klimaschutzpolitik mit einer Abkehr von fossilen Energieträgern unsere Abhängigkeit sukzessive verringern. Die aktuellen Turbulenzen sollten als Turbolader für einen beschleunigten Ausbau Erneuerbarer Energien dienen.